Drei künstlerische Handlungsfelder in Hamburg
Gartendeck - OpenRoom Artisthotel - Bi's Cruising Tours
Meine Suche nach alternativen Kunstpraktiken in Hamburg zielte - kaum überraschend - weniger auf Übernahmen des klassischen (White Cube) Galerienmodells, als auf Verfahren ab, die nach dem Begriff von Birte Kleine-Benne, als Handlungsfelder zu begreifen wären.
Nicht Re-präsentation abgeschlossener vorgefertigter Objekte, sondern die unabgeschlossene, offene Erarbeitung eines Handlungsraums unter Beteiligung aller involvierten Akteure in Bezugnahme auf mögliche ästhetischer Erfahrungen innerhalb dieses Prozesses.
Tatsächlich ist es mir gelungen mehrere solcher Handlungsfelder zu identifizieren, von denen ich drei exemplarisch vorstellen möchte.
Gartendeck
Eine fast 1000qm große Brache in der Großen Freiheit (St. Pauli) bietet Raum für einen urbanen Garten, der in mobilen Beeten Nutzpflanzen (Obst, Gemüse, Kräuter) hervorbringt. Die Anlage wird von einem Kollektiv bewirtschaftet, das allen Menschen offensteht und insbesondere die umliegende Nachbarschaft einbinden möchte.
Das Projekt Gartendeck erhebt keinen expliziten Kunstanspruch und wäre vielleicht genauer als "sozio-kulturell" zu beschreiben.
Mein Zuspruch speist sich daher weniger aus dem Umstand, daß auch Künstler am Garten mitarbeiten, als aus der Tatsache, daß seine Organisation modellhaft für eine Kunst steht, die sich als Entwurf neuer Wahrnehmungs- und Handlungsmuster versteht. Mit dem Ziel "funktionstüchtige und anschlussfähige Formen mit Nachhaltigkeitseffekt" (BKB) zu erzeugen.
Daher stört mich auch kaum, daß "urban gardening" geradezu ein Hype geworden ist, noch daß das Vorbild für das Projekt Gartendeck aus Berlin, und dessen Vorbilder vielleicht aus den USA kommen, - denn es geht hier um die produktive Umsetzung eines Regelwerks (Frameworks), als Fruchtbarmachung eines gestalterischen Potentials im wortwörtlichen Sinne.
Faszinierend fand ich, wie der Gartenbau Schnittstellen zu anderen skulpturalen Feldern kreiert. In der Gewinnung von Regenwasser, der Bereitung von Dünger, schließlich dem Bau von Lastfahrrädern nach Anleitung des dänischen Künstlerkollektivs n55 für den Transport von Erde, Baumaterial und Pflanzen.
Damit erzeugt Gartendeck ein multidimensionales Feld partizipativen Verhaltens.
OpenRoom
Künstler auf Besuch in einer fremden Stadt haben oft das Problem bezahlbaren Wohnraum zu finden. Besonders auf kurze Zeit während eines Projektes. Dieser Widrigkeit begegnet das Künstlerhotel Openroom von Jan Holtmann, der in einer Kontorhausetage auf kaum 40qm 5 abgeschlossene Kajüten (als Schlafräume), eine Kochnische, sowie einfache Sanitäreinrichtungen untergebracht hat. Die Benutzung des Etablissements ist kostenlos.
Die Gestaltung dieser besonderen Herberge ist so ansprechend, daß sie für sich genommen schon als Skulptur durchgehen könnte. Bloße Rezeption ginge aber an der Sache vorbei, denn es ist gerade der praktische Vollzug, also das Bewohnen, der der Installation ihre eigentlich Intention verleiht. Sie ist für sich genommen bewußt unvollständig und gleichzeitig auf unvorhersehbare Art ausfüllbar, je nach dem wie ihre Gäste mit ihr umgehen. Ein Labor.
Deutlicher könnte das Diktum von Michael Lingner "Nicht Werke, sondern Werkzeuge schaffen." nicht in die Tat umgesetzt werden.
http://www.openroom-artisthotel.com
Bi's Cruising Tours
Seit einigen Jahren bietet die Künstlerin Birgit Dunkel künstlerische Autofahren durchs Hamburger Stadtgebiet an. Anders als Gartendeck oder OpenRoom verzichtet Birgit Dunkel auf eine vor-gefertigte Installation, sondern beginnt mit einer Unterscheidung. System(Auto) versus Umwelt(Stadtraum).
Diese Differenz produktiv zu nutzen obliegt den Insassen, die von der Künstlerin auf der Tour chauffiert werden. Ob und auf welche Weise sich dabei ästhetische Erfahrungen einstellen, wird von der Fahrerin nur minimal angeregt. Durch selektiv eingespielte Musik aus dem Autoradio, die je nach subjektiver Einstellung den Kontrast zwichen Innen- und Außenraum verstärken oder abschwächen kann, sowie durch spärliche Hinweise auf Gebäude oder Bauprojekte.
Ebenso unbestimmt bleibt, wie sich mögliche Interaktionen entwicklen könnten, zwischen den Fahrgästen und der Künstlerin, zwischen den Fahrgästen untereinander, sowie zwischen dem Tourverlauf und der Umgebung. Ein zu Beginn der Fahrt subtil angedeutetes Schweigegebot verwies mich auf eine Rolle als bewegtes Auge an dem die Außenwelt kinoartig vorbeizieht.
Wäre es dabei geblieben, hätte ich sicher revoltiert. Mir lag schließlich daran zu erproben, inwieweit hier eine Ästhetik der Teilnahme verwirklicht wird.
Mit dem Verlassen der Blickkabine Auto in Form eines Picknicks an einem einsamen Hafenkai, einem Besucher der Oberhafenkantine und des Gängeviertels wurde die Beklemmung gelöst, die sich aus der Reduktion auf die erzwungen reine Perzeption ergeben hatte. Auf einmal entpuppte sich der Beifahrer als streitbarer Philosoph, der wortgewaltig jeglichen Diskurs für erloschen und die Kunst überhaupt nur noch als theoretische für möglich hielt.
Dadurch daß jede Cruising Tour sich als einmaliges unwiederholbares Ereignis situiert, abhängig vom Streckenverlauf, der Konstellation der Fahrgäste und den jeweiligen Bedingtheiten des Außenraums, relativiert sich die rein faktische Darstellung und die daraus ableitbare Interpretation. Sie bleibt vorbehaltlich weiterer Erfahrung notwendig kontingent.
Die Künstlerin Birgit Dunkel erweist sich in diesem Rahmen als Programmiererin des Beiläufigen, indem sie ein Handlungsfeld erschliesst, das - versuchsweise nach einem Wort von Heidegger [Unterwegs zur Sprache] - die Offenen "in das Ereignen zu ihrem Wesen versammelt und darin hält."
Von
am 06. Sep. 2012, 20:35In Tags: produktive Räume, kunst im öffentlichen raum, kunst, handlungsfeld, hamburg
- Schreib einen Kommentar
- 36 Herzen
Zur Rolle des Publikums
Hinsichtlich der Frage, inwieweit die vorgestellten Projekte Alternativen zum herkömmlichen Ausstellungsbetrieb ausweisen, ist nach der Lektüre von Andreas Reckwitz Buch 'Die Erfindung der Kreativität' die Rolle des Publikums erneut zu untersuchen.
Wie gehen die Projekte Gartendeck, OpenRoom und Bi's Cruising Tours mit dem Publikum um? Sind sie auf Publikum angewiesen?
Die Gäste des Künstlerhotels OpenRoom sind kein Publikum im eigentlichen Sinne. Sie schauen nicht zu, sondern schaffen den Raum, indem sie ihn bewohnen. Sie sind aktiv an der Gestaltung des Ortes beteiligt.
Dennoch bleibt bei OpenRoom die Trennung von Projekt/Leitung und teilnehmenden, teilgestaltenden Gästen bestehen. Die Bewohner können auf eine vorgefundene Installation reagieren, sich in ihr einrichten, die eigentliche Richtung des Projektes aber nicht bestimmen. Es handelt sich nicht um eine Wohngemeinschaft oder Kommune.
In ähnlicher Weise stellt Birgit Dunkel für ihre Crusing Touren ein bestimmtes Angebot bereit, in Form eines Autos, einer Fahrerin sowie einer vorgegebenen Wegstrecke. Die Fahrgäste sind ein Publikum, das für die Dauer der Tour auf seine gewohnte Distanz zum Geschehen verzichten muss, ansonsten aber anonym und unverbindlich bleibt.
Hingegen ist Gartendeck ein Projekt, das tatsächlich auf ein Publikum verzichtet. Alle Beteiligten sind mehr oder minder gleichberechtigte Teilhaber an der Idee gemeinsam einen Garten zu gestalten. Zuschauer machen in diesem Zusammenhang gar keinen Sinn. Sie sind sogar lästig, wenn jede helfende Hand gebraucht wird. Solange das Gartendeck seine eigenen Produkte auch selbst verbraucht (und nicht verkauft), bleibt es von einem Publikum weitgehend unabhängig.
Mit diesen kurzen Hinweisen zeigt sich, daß alternative künstlerische Praxen, die von handlungsorientierten und kommunikativen Ansätzen ausgehen, durchaus beim Umgang mit Publikum tradierte Formen berühren.
S.a. Abschied vom Publikum