KünstlerInnenselbstvertretung
Material zur Session im Rahmen des Kongresses "Wem gehört die Stadt?"
Moderiert von Vanja und Stefan (Thing Frankfurt)
Wir möchten mit Euch die spezielle Lage der KünstlerInnen innerhalb der urbanen Ökonomie besprechen.
Wie jüngst das Manifest von Haben und Brauchen aufgezeigt hat, werden unter dem Diskurs der "Kreativität" die Leistungen der KünstlerInnen (zb zur Stadtteilaufwertung, sprich Gentrifizierung) gerne und selbstverständlich in Anspruch genommen, ihr Beitrag dazu aber nur unzureichend honoriert. Die Antwort auf diese unschöne Entwicklung kann nur eine verstärkte Selbstvertretung der KünstlerInnen sein, insbesondere gegenüber den politisch Verantwortlichen. Die Session berichtet über die Arbeit von Thing Frankfurt aus letzter Zeit, von der Kommunalwahl 2011, sowie der Initiative zur Haushaltsumverteilung. Dabei geht es vor allem um einen Erfahrungsaustausch, um die Erörterung der Schwierigkeiten der politischen Verlautbarung gerade im kulturellen Milieu, sowie die Frage nach gemeinsamen Handlungsansätzen.
Beispiel Kulturhaushalt Frankfurt umverteilen:
http://ffm.de/vorschlag/kulturhaushalt-frankfurts-umverteilen
(Webseite nicht mehr abrufbar. Hier ein Archiv der damaligen Top Bürgervorschläge)
Links
** Manifest Not in Our Name, Marke Hamburg, 2009 http://www.buback.de/nion/
Wir haben schon verstanden: Wir, die Musik-, DJ-, Kunst-, Theater- und Film-Leute, die kleine-geile-Läden –Betreiber und ein-anderes-Lebensgefühl-Bringer, sollen der Kontrapunkt sein zur "Stadt der Tiefgaragen" (Süddeutsche Zeitung). Wir sollen für Ambiente sorgen, für die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute nicht mehr global konkurrenzfähig ist. Wir sind willkommen. Irgendwie. Einerseits. Andererseits hat die totale Inwertsetzung des städtischen Raumes zur Folge, dass wir – die wir doch Lockvögel sein sollen – in Scharen abwandern, weil es hier immer weniger bezahlbaren und bespielbaren Platz gibt.
** Manifest Haben und Brauchen, Berlin, 2012 http://www.habenundbrauchen.de/2012/01/haben-und-brauchen-manifest-2/
Die Ironie liegt darin, dass die derzeitige Abschaffung des Gemeinwesens unter Berufung auf das Ideal von der künstlerisch „kreativen“ Einzelgängerin (die sich schon irgendwie zu organisieren weiß) gerechtfertigt wird. Neoliberales Wunschdenken stellt Kunst und Kultur so dar, als ginge es hier primär um das Kapital Kreativität: um individuelle Erfolgsgeschichten von ungezügelter, unternehmerischer Innovationslust. Das ist eine Fiktion! Sie verzerrt die Wirklichkeit auf absurde Weise: Als Vorzeigeobjekt — Zukunftsmotor und Standortfaktor — präsentiert man Kunst vor den Kameras und verweist sie damit doch zugleich von ihrem Platz im Herzen des Gemeinwesens.
Das Verhältnis neoliberaler Populisten zur Kunst ist schizophren: Einerseits werden Künstler als ‚Kreative’ gefeiert, andererseits wird die Rolle der Kunst bei der Schaffung des Gemeinwesen (ebenso wie ihre Abhängigkeit vom ihm) verleugnet und Künstlerinnen die öffentliche Unterstützung entzogen. Dieser Logik der Verleugnung ist zu widersprechen! Künstlerische Tätigkeiten müssen angemessene gesellschaftliche Anerkennung als Arbeit finden. Anerkennung meint hier: das Recht auf das Einfordern angemessener Bezahlung und Teilhabe an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen.
** Verena Lettmayer zu Haben und Brauchen: http://boutiquevrenitm.blogspot.com/2012/01/gemeinweisen-abschalten.html
** Siehe auch http://schrankstipendium.blogspot.com/
** Beispiel für Aneignung: http://whitney2012.org/
** Kongressprogramm: http://www.wemgehoertdiestadt.net/kongress.html
** Buch "Der Kulturinfarkt", behauptet: Die Hälfte aller Theater, Museen, Bibliotheken und Orchester in Deutschland sei eigentlich überflüssig.
http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article13920052/Waere-die-Hal...
Vielleicht sind manche Einrichtungen tatsächlich überflüssig, das Geld ist es aber nicht. Das könnte direkt an die Künstler gehen. Darüber wollen wir auch am Samstag auf dem Kongress sprechen.
Leseliste
Hans Abbing, Why are Artists poor? - http://www.amazon.de/Why-Are-Artists-Poor-Exceptional/dp/9053565655
Kreation und Depression - http://www.amazon.de/Kreation-Depression-Freiheit-gegenw%C3%A4rtigen-Kap...
Wir sind woanders #1 - http://www.amazon.de/Wir-sind-woanders-Nora-Sdun/dp/3938801328
Katja Kullmann, Echtleben - http://www.amazon.de/Echtleben-Warum-heute-kompliziert-Haltung/dp/382186...
Kunst ohne Publikum - http://www.amazon.de/Kunst-ohne-Publikum-Konversationen-Karlsruhe/dp/384...
--
Pionierinnen und Pioniere der Spätmoderne: Künstlerische Lebens- und Arbeitsformen als Inspirationen für ein neues Denken - http://www.amazon.de/Pionierinnen-Pioniere-Spätmoderne-Künstlerische-Arbeitsformen/dp/3837617920
Verordnete Entgrenzung: Kulturpolitik, Artist-in-Residence-Programme und die Praxis der Kunst - http://www.amazon.de/Verordnete-Entgrenzung-Kulturpolitik-Artist---Resid...
Von
am 16. Mar. 2012, 15:26In Tags: protest, occupy, manifest, kunst, kulturpolitik, autonomie
- Schreib einen Kommentar
- 39 Herzen
Lernen von Berlin
In Berlin hat sich eine "Koalition der Freien Szene" gebildet, die "10 Punkte für eine neue Kulturpolitik" formuliert hat.
Sehr lesenswert unter:
http://koalitionfszb.bplaced.net/wordpress/?page_id=117
3. Treffen
7. Mai 2012
Besprechung darüber, welches Anliegen wir vertreten.
Flo erinnert an eine Form von Kultur, die er nicht befürworten kann:
kulturelle "Leuchttürme", Blockbusterausstellungen, Messung von Relevanz
an Publikumszahlen. Insgesamt ein "falscher Kulturbegriff".
Vanja fragt, wie dem entgegen zu argumentieren sei? Komme es nicht
(gegenüber den Politikern) dennoch auf Zahlen und Fakten an?
Haben wir, hat unser Anliegen Legitimationsnöte?
Was können wir für uns anführen? Eine "lebendige Szene"? Kleinteilige
Strukturen? Kunst als "Wert an sich" (Tim)?
Die Abgänge nach Berlin, die Beteiligung frankfurter Künstler an
Ausstellungen in Berlin, als Beleg dafür, daß "es" in Frankfurt nicht
funktioniert?
Wir sprechen über die von Richard Florida vorgebrachten Argumente, daß
Künstler indirekt die Wirtschaft ankurbelten und deshalb Finanzierung
verdienten. Eine zwiespältige Argumentation, da sie im Kern die
Verhältnisse unverändert lasse und der Kultur eine Alibifunktion
zuweise. Siehe die Manifeste "Not in our Name" und "Haben und Brauchen".
Wie können wir unser Anliegen verbreitern, wie mehr Menschen ansprechen?
Erneuter Vorschlag den Atelierrundgang Open Doors (im November) für die
Verbreitung eines Aufrufs/Manifests zu nutzen, das auf die Lage der
KünstlerInnen hinweist.
Erinnerung daran, daß prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse nicht nur
(uns) Künstler betreffen, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen
sind. Siehe dazu auch Angela Mcrobbie: "Jeder ist kreativ". Künstler als
Pioniere der New Economy? -- Hat jemand diesen Text?
Zylvia verweist auf Adrienne Goehler, die argumentiert haben soll, es
handele sich im Zuge der demografischen Entwicklung um "Raubbau an der
Kreativität", wenn gut ausgebildete Menschen schlecht bezahlt würden.
2. Treffen
Erfreulicherweise fand am 16.4. ein gut besuchtes Folgetreffen statt. Hier einige Punkte, über die gesprochen wurde:
Allgemeines Kennenlernen
- Situation der KulturarbeiterIn in prekären Verhältnissen. Stichwort "umsonst arbeiten".
- Themenkreis Kulturhaushalt umverteilen. Wieviel Geld gibt die Stadt überhaupt für Kunst aus, und wo geht es hin?
- Forderungen stellen. "Einfach so" oder unter Berücksichtigung realpolitischer Bedingungen?
- was ist politisch?
- Demokratie in der Kunst. Wer darf, wer sollte mitentscheiden?
- Autonomie, Selbstbestimmung, Freiräume, Teilhabe
- Verwertungslogiken in Frage stellen, durchbrechen
- selbstbeauftragt gestalten
- Treffen an anderen Orten stattfinden lassen und zum Dialog nutzen (zb bei Basis oder Atelier Frankfurt)
- andere Gruppen/Projekte kontaktieren
- Opendoors als Anlass/Plattform zu einer Stellungsnahme nutzen
- ...
Nächstes Treffen: Montag, 7. Mai, 20 Uhr.
Weiterer Diskussionsstoff
Im Zusammenhang von Stadtpolitik, kreativer Stadt und Recht auf Teilhabe sei auf folgende Artikel verwiesen:
-- Klaus Ronneberger zu Hegemonie des Kulturellen
-- Jürgen Oßenbrügge zu Künstlerkritik am Beispiel Hamburgs
Freiräume erhalten
Wie gesagt finde ich Eure Aktion der Künsterlerinnenselbstvertretung und des Kulturhaushaltumverteilens super.
Denke es ist vielleicht sinnvoll, neben der Forderung nach der Haushaltsumverteilung, auch die Frage nach Freiräumen einzubringen, denn die sehe ich gerade in Frankfurt sehr bedroht: Das Lola Montez muss bis Ende Mai raus, das Hazelwood-Festival hat dieses Jahr seine Festivalräume verloren, das Lichter-Festival ist im nächsten Jahr ohne Ort, dem IVI droht Räumung, die Zukunft der Nippon-Connection und vieler anderer kultureller Initiativen hängt von der Zukunft des Studierendenhauses ab, das Atelier Frankfurt wird weichen müssen und auch die Zukunft von Basis ist ungewiss ...
Wenn es diese Orte in Zukunft nicht mehr geben wird, wird es eng für die freie Szene.
Ich finde neben Projektfinanzierung Orte, an denen Künstler ohne (großes) Budget ausstellen, aufführen, sich austauschen und in die Stadt hineinwirken können total zentral. In der Masse, in der diese Ort gerade zur Disposition stehen, sehe ich gerade eine gewisse politische Brisanz, weshalb es sicherlich sinnvoll ist, hier ein politische Forderung zu formulieren und einzubringen.
Protest und Tun
Nehmt Sprühdosen in die Hand. Schreibt es an jede Wand. Und sie werden Euch jagen. Veröffentlicht es online und wenige interessiert es. Protest und die damit zusammenhängende geforderte Veränderung hängen in einer Timokratie an zwei Parametern: Dem Korsett des vermeintlichen Besitzes und dem Glauben an Geld/Finanz und der damit einhergehenden staatlich verordneten Gewalt.
Daher ist eine Mitgestaltung privater und öffentlicher Räume durch Tun unverhinderbar. Gruß Bomber
Protokoll
Schon bei der Vorstellungsrunde tauchte die Wahrnehmung ein Spaltung hinsichtlich der möglichen Adressaten bzw. Akteure einer Selbstvertretung auf:
-- einerseits die, die sich eher "politisch" verstehen, andererseits die, die sich eher "künstlerisch" verstehen, bzw. denen diese Haltung jeweils zugeschrieben wird.
Dieses Thema der Spaltung wurde auch auf dem späteren Plenum zur Kreativwirtschaft angesprochen. U.a. warum sind so wenige KünstlerInnen auf dem Kongress?
Wolfgang wies darauf hin, daß jenseits eines künstlerischen Feldes auch der Bereich der sozio-kulturellen Projekte (IVI, Exzess, Klapperfeld ...) existierte, der seine eigene Berechtigung und damit auch Anspruch auf Unterstützung habe.
Vanja hat dann nochmals die Idee der Haushaltsumverteilung zugunsten künstlerischer Selbstbestimmung erläutert.
Wir haben diesbezüglich über die Rollen der Institutionen gesprochen. Und warum es kaum möglich sei, Max Hollein zu kritisieren.
Weitere Frage, sind KünstlerInnen EinzelgängerInnen, nur mit ihrem eigenen Werk beschäftigt und zu Zusammenschluß und Vertretung ihrer Interessen nicht willens oder fähig? Wenn Ja, woran liegt das?
Schließlich haben wir noch kurz über die Rolle von Occupy in Bezug auf eine Kritik des kulturellen Feldes diskutiert.
* * * * * * * *
Anmerkung: Selbst wenn es eine Spaltung in "politisch" und "künstlerisch" geben sollte, so wäre doch im Anschluß an die Argumentation von "Haben und Brauchen" darauf hinzuarbeiten, daß beide sich gegen die Inanspruchnahme durch ein Stadtmarketing im Namen des "Kreativen" zur Wehr setzten und ihren gerechten Anspruch auf Teilnahme und Honorierung ihrer Leistungen formulierten.